[de] Die Referentin, selbst Sprachberaterin, versteht die individuelle Beratung bei der Textrezeption und -produktion als eine Chance zum lebendigen Austausch zwischen Linguisten und Nichtlinguisten. Individuelle Sprachberatung ist mehr als eine Übersetzung linguistischer Erkenntnisse für Laien. Die Bereitschaft der sprachberatenden Linguisten zur Beeinflussung der Textproduktion setzt voraus, dass eine „reine“ Deskription sprachlicher Phänomene als Utopie bzw. als ein genuin monologisches Verfahren der Grammatikographie erkannt wird. Ob das Gespräch den Sprachberatungskunden letztlich dazu anregt, „wegen des Wetters“ zu schreiben oder „wegen dem Wetter“ – in jedem Falle haben Berater und Kunde auf der Grundlage empirisch gewonnener und deskriptiv ausgewerteter Daten gemeinsam eine Norm formuliert. Sprachberatung kann aber auch nachgerade in der Werbung für die Utopie einer reinen Deskription bestehen, selbst wenn der ursprüngliche Anlass des Gesprächs die Suche nach einer möglichst strengen Norm gewesen ist. Nicht nur wie sprachliche Zweifelsfälle und mögliche Lösungsansätze dargestellt werden, sondern auch welche Fakten präsentiert werden, hängt von einer Reihe spontan – das heißt: in Sekundenschnelle – getroffener Entscheidungen beider Gesprächspartner ab. Bereits beim ersten Kontakt (Begrüßung; Formulierung der Frage) ordnet die Sprachberaterin ihren Gesprächspartner einer Gruppe von Sprachteilnehmern zu und macht sich ein Bild von der Situation, in der dieser Zweifelsfall aufgekommen ist. Von der Bewertung dieser Gesprächssituation hängt es ab, ob die Antwort in einer schnellen impliziten Handlungsanweisung besteht („Der Satz ist korrekt“) oder ob Grundfragen der Linguistik wie die Definition des „Standards“ im Varietätenspektrum, quantitative und qualitative Methoden in der Korpusauswertung, vielleicht sogar sprachphilosophische Fragen thematisiert werden.
Im Vortrag sollen am Beispiel einiger Zweifelsfälle aus dem Bereich der Syntax (Moduswahl, Substantivvalenz, Monoflexion) situationsgerechte Gesprächsziele und -strategien herausgearbeitet und zur Diskussion gestellt werden. Neben dem Erkenntnisinteresse und den Gesprächszielen der Anrufer wird das Erkenntnisinteresse der Linguisten zu bedenken sein. Paradebeispiel hierfür ist die Frage, inwiefern die gängigen mehr oder weniger verbzentrierten Grammatikmodelle der Produktion konzeptionell schriftlicher Texte angemessen sind.